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Tomorrow is the first day of your new life



Es hatte die Nacht aufgehört zu regnen. Am heutigen Morgen waren die Straßen zwar noch feucht, aber es kam glücklicherweise nicht neues Wasser vom Himmel. Trotzdem ich mich gestern Abend fühlte, als ob meine Füße keinen einzigen Schritt mehr tun können, ging es heute früh wieder erstaunlich gut. Schon verrückt, wie schnell man sich (scheinbar) erholt. Ich ging gegen 9 Uhr los und wollte, wenn möglich, Pontevedra erreichen. Das wäre die nächste reguläre Etappe gewesen und dann könnte ich mir auch mal einen ganzen Tag Auszeit gönnen.

Ziemlich bald hörte ich schnelle Schritte hinter mir. Man lernt auf dem Camino, sein eigenes Tempo zu gehen. Es gibt Leute, die rasen an einem vorbei und Leute, die es eher gemütlich angehen. Ich gehöre eher zur zweiten Sorte - wegen des Gepäcks und meiner Schuhe geht es auch nicht anders. Die Beiden, die hinter mir anrauschten, gehörten eher zur ersten Sorte. An einem Anstieg hatten sie mich und zogen direkt vorbei. Ein großer, kräftiger Typ mit großem Rucksack und ein kleiner, älterer Mann mit dementsprechend kleinerem Gepäck. Beide mit Wanderstöcken ausgerüstet, stakten sie an mir vorbei.

Kurze Zeit später überholte ich sie wieder, da sie sich ihrer Regenkleidung entledigten. Als das erledigt war, nahm das Duo wieder Fahrt auf und schloss auf. Beim Überholvorgang kamen wir kurz ins Gespräch. Ich schaffte es, ungefähr 50 Meter mit Ihnen mitzuhalten. Genug Zeit um zu erfahren, dass der große, kräftige Typ aus Argentinien war und sein kleiner Begleiter aus Holland. In dem Moment waren es für mich Speedy Gonzales (nicht ganz korrekt - ich weiß) und der Fliegende Holländer. In einem Café machten sie Rast. Da ich keine Pausen mache, überholte ich sie erneut. Als sie abermals an mir vorbeischossen, entstand obiges Foto.

Heute ging ich den Großteil der Strecke allein. So richtig allein ist man inzwischen hier nicht mehr, denn eigentlich ist es ein unendlicher Tross von Pilgern. Ach - und heute habe ich mir von einer Straßenhändlerin meine Jakobsmuschel für den Rucksack geholt. Das hat hier jeder ordentliche Pilger dabei. Und ich jetzt auch.

Die Strecke war heute wieder etwas abwechslungsreicher. Und es ging wieder durch sehr viel Wälder und über Wiesen. Aber auch streckenweise am Rand einer Fernstraße entlang. Und außerdem ging es zweimal ziemlich steil bergan. Meine App hat teilweise eine Steigung von 13% angezeigt und so ging es zweimal 140m hinauf. Das war schon anstrengend.

Dabei kam mir der Vorteil in den Sinn, wenn man kaputte Füße und zu viel Gewicht hat: Man kann abwechselnd fluchen und es wird nicht so schnell langweilig. Die Füße schmerzen bei jedem einzelnen Schritt (laut iPhone waren es heute 40.000) - aber wenn es bergan geht, treten sie irgendwann in den Hintergrund und man verflucht jedes einzelne Kilo, dass man zu viel dabeihat. Bis man auf dem Gipfel ist und die Füße wieder wahrnimmt.

So zog sich die Strecke heute entlang. Ich wollte schon gern Pontevedra erreichen, da ich keine Lust hatte, im nirgendwo ein Zimmer zu nehmen und den Rest des Tages dort zu versauern. So schleppte ich mich allein bis kurz vor die Stadt. Dort teilte sich plötzlich der Camino in zwei Richtungen. An dieser Gabelung traf ich Eelke aus Amsterdam. Ich fragte, warum sich der Weg teilt und welchen sie nimmt. Einer ging wohl weiter die Straße entlang und einer am Fluss. Eelke entschied sich für den Fluss und ich entschied mich, mit Eelke zu gehen. Wie merkten bald, dass unsere Entscheidungen richtig waren. Der Weg war wunderschön und auch wir beiden verstanden uns gut. Eelke geht den Camino von Porto aus mit ihre - Achtung! - fast 80-jährigen Mutter. Sie gehen ein Stück gemeinsam und dann wieder getrennt. Dann treffen sie sich immer nachmittags in der Unterkunft. Eelke hatte einen flotten Schritt und merkte bald, dass ich etwas unrund lief. Ich erzählte ihr von meinen Füßen und den 12 Kilo Gepäck. Sie hatte nur ein kleines Rucksäckchen. Sie erzählte mir von dem Gepäckservice, der die Rucksäcke zum nächsten Etappenziel bringt. Das kannte ich bereits - ich hatte in O Porrino die Flyer liegen sehen. Aber irgendwas in mir sagt, dass ich den blöden Rucksack jetzt auch schleppen muss, wenn ich ihn schon gepackt habe. Ich verstehe das als Lektion, die ich zu lernen habe - auch wenn's weh tut. Eelke sagte, vielleicht habe ich die Lektion ja schon gelernt und ich sollte morgen vielleicht den Service nutzen. Der morgige Tag wäre vielleicht der erste Tag nach dieser gelernten Lektion. Da wir uns auf Englisch unterhielten und sie sich an ein dementsprechendes Sprichwort erinnerte, fand ich das einen passenden Titel für den heutigen Eintrag. Überzeugen konnte sie mich mit dem Gepäckservice allerdings nicht.

Der Weg am Fluss war wunderschön und so vergingen die letzten Kilometer sehr schnell. Eelke hatte bereits Doppelzimmer in einem Hostel vorgebucht. Es war direkt im Zentrum der Altstadt. Da ich noch nichts für die Nacht hatte, gingen wir gemeinsam zum Hostel. Ich hoffte, ebenfalls ein Doppelzimmer buchen zu können. Als wir ankamen, war das Hostel schon ausgebucht. Und der Besitzer machte mir wenig Hoffnung, da gerade ein Kongress in Pontevedra ist.

Ich verabschiedete mich von Eelke und versuchte mein Glück im Hostel nebenan. An der Tür klebte schon ein Schild "No Vacancy". Ich zückte mein Handy, hoffte auch Booking.com und wurde auch fündig. Nur 300m entfernt gab es ein günstiges Apartment. Ich buchte es und Paula - die Besitzerin - schrieb mir sofort. Das Apartment war zwar noch nicht bereit, aber ich konnte meinen Rucksack und meine Stiefel loswerden. Dann zog ich durch die schöne Altstadt von Pontevedra. An der Basilika hörte ich ziemlich laute und gute Rockmusik. Vor einer Bar spielte eine Band ziemlich geilen Scheiß (klang irgendwie nach The Hives). Ich holte mir ein Bier und setzte mich ins Gras. Die Band spielte leider gerade ihre letzten Songs. Da sie wirklich gut waren, sprach ich die Typen an. Sie freuten sich sehr über mein Interesse und ich fragte - aus Spaß - ob sie nicht auch mal in Berlin spielen. Da sagte der Bandleader - George wie sich herausstellte - dass sie tatsächlich mal in Berlin gespielt haben. Und zwar - im BASSY! Der Hammer! Einer der ersten Clubs, die ich kennengelernt habe, als ich nach Berlin ging. Und einer der geilsten überhaupt. Leider hat er Ende April schließen müssen. Ich erzählte, dass ich den Bassy-Club kenne und irgendwie hatten plötzlich alle gute Laune. Wir machten noch ein Foto. Ich hoffe, sie spielen mal wieder in Berlin. Dann bin ich jedenfalls dabei. Achso, sie heißen "Los Ladridos" und das bedeutet irgendwie Die Bellenden - oder so. Nette Typen!

Unter den Leuten traf ich dann Susanne aus Tübingen. Sie sprach mich an, da sie auch pilgert. Wir unterhielten uns kurz und sie sah meine durchgesifften Verbände. Sie schlug mir vor, einen Ruhetag einzulegen. Und der Gedanke gefiel mir immer mehr. Ich schrieb Paula an, ob ich das Apartment auch zwei Nächte haben könne. Sie machte noch ein Sonderangebot und der Deal war perfekt. Morgen ist also Ruhetag und ich schaue mir Pontevedra in Latschen an. Gute Nacht!




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