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Dürfen wir jetzt wieder reden?

Antje, Jasmin und ich wollten den 10 Uhr Bus nach Finsterra nehmen. Wir planten ca. 30 Minuten Fußweg und einen Kaffee für unterwegs ein und hatten uns deshalb zu 9 Uhr an meinem Hotel verabredet. Kurz vor 9 standen die Zwei vor dem Hotel und mit dem 9- Uhr-Läuten der Kathedrale machten wir uns auf den Weg.
Es war das erste Mal seit vielen Kilometer, dass ich meinen Rucksack trug und die Stiefel an ihm baumelten. Wir gingen gemächlich, da wir ausreichend Zeit hatten. Leider waren alle Cafés, die wir passierten noch geschlossen. Irgendwann fanden wir ein Café an einer belebten Kreuzung, dass tatsächlich schon geöffnet hatte. Wir bestellten dos café con leche y un café solo. Für Jasmin noch ein Croissant, welches monstermäßig groß war. Als es irgendwann mit Messer und Gabel vertilgt war - hatte ich so auch noch nicht gesehen - gingen wir wieder gen Busbahnhof. Laut googlemaps sollten wir 10 vor 10 da sein. Wir hatten noch keine Tickets und keine Ahnung, wo der Bus abfuhr. Also gingen wir etwas zügiger. Am Ticketschalter war glücklicherweise nicht viel los und so ging dies zumindest recht zügig. Dennoch zeigte die Uhr am Schalter mit leuchtend roten Ziffern bereits 09:55 als wir die Tickets endlich hatten. Der Verkäufer deutete irgendwie abwärts, wo wohl unser Bus abfuhr. Also los jetzt. Einige Ecken und zwei Treppen später standen wir an den Bahnsteigen. Es standen dort 6 Busse - alle gleich und mit irgendwelchen Nummern in der Anzeige. Es war jetzt 2 Minuten vor 10 und einer würde sich sicher gleich in Richtung Finsterra in Bewegung setzen - mit oder ohne uns. Wir rannten alle Busse ab und fanden unseren. Es war natürlich der Letzte. Schnell stopften wir unsere Rucksäcke ins Gepäckfach und bestiegen den Bus. Geschafft!
Die Busfahrt verging recht kurzweilig. Ich döste vor mich hin und lies die Landschaft an mir vorüberziehen. Irgendwann sahen wir das Meer aus dem Fenster. Es sah wunderschön aus. Es muss sehr schön sein, hierher zu gehen und diese Natur nicht durch ein Fenster und in Schrittgeschwindigkeit zu erleben. Im Vergleich zu den letzten Tagen raste alles an einem vorbei. Ich dachte an Alex und Johannes, die diesen Weg gerade zu Fuß gingen. Sehr schön. Wir planten eigentlich eine Fahrt von 3 Stunden ein. Doch nach knapp der Hälfte der Zeit waren wir plötzlich schon am Ziel. Finsterra ist ein kleines Örtchen und der Bus hielt in der Nähe zum Hafen. Es war erst gegen halb 12. Wir beschlossen, unsere Hotels aufzusuchen und unserer Rucksäcke loszuwerden. Danach verabredeten wir uns ungezwungen zum Essen. Mein Hotel lag nur etwa 400 Meter von der Haltestelle - etwas bergauf - entfernt. Ich rechnete mit einer üblen Absteige, da es nur einen Stern hatte und nicht teuer war. Entweder lag es an meinen zurückgeschraubten Erwartungen oder das Hotel war wirklich nicht schlecht - ich war positiv überrascht. Mein Zimmer war sogar schon bezugsbereit. Es war liebevoll und sehr kitschig eingerichtet. Die Handtücher waren zu Schwänen geformt und das Bett hatte einen Vorhang wie aus tausendundeiner Nacht. Zudem wurde mir von dem Parfüm und Reinigungsmittelgeruch fast schwindelig. Also schnell Rucksack abstellen, Laptop und Fotoapparat geschnappt und ab an den Hafen - ich hatte noch nichts gegessen. Durch die Busfahrt auf leerem Magen war mir etwas übel. Essen würde helfen.
Ich ging die paar Meter zum Hafen hinunter und fand eine gemütlich Bar mit ein paar Tischen davor. Ich bestellte das übliche seit ein paar Tagen - Bocadillo mit Jamon und Cheso. Dazu eine Coke. Es war nichts Besonderes aber nach dem Baguette ging es mir deutlich besser. Nebenbei sortierte ich ein paar Fotos. Als ich fertig war, wollte ich mir noch etwas den Hafen anschauen. Er schien auf der Seite, wo sich die Bar befand, zu enden und zog sich in die andere Richtung mit weiteren Bars und Cafes. Auf meiner Seite endete Finsterra und ein Trampelpfad führte zu einigen Felsen im Wasser. Ich folgte dem Pfad, kletterte einige Felsen Richtung Wasser hinunter und fand ein lauschiges Plätzchen zum Sitzen. Hier begann ich meinen Blog weiter zu schreiben und die Fotos zu bearbeiten. Irgendwann schrieben die zwei Damen, dass sie gleich mit dem Essen fertig wären und ob wir uns irgendwo treffen wollten. Ich schickte Ihnen meinen Standort per Handy (schöne neue Welt) und empfahl ihnen, her zu kommen. Wenig später saßen wir zu dritt auf den Felsen und genossen die Sonne, den Wind, das Meeresrauschen und das Möwengeschrei. Naja - ich genoss das Möwengeschrei. Für die beiden Nordlichter war das nichts neues und Jasmin erzählte mir von einer Möwenplage an der Kieler Uni, die es wohl schon bis ins Fernsehen zu EXTRA 3 geschafft hat. Ich verbinde mit Möwen das Meer und es hat einen durchweg positiven Effekt. Wenn sie einem allerdings täglich das Auto und auch alles andere zuscheis..., hat das wohl eine andere Wirkung. Verständlich.
Wir saßen dort eine Weile. Manchmal jeder für sich. Manchmal zusammen und wir redeten. Ich testete auch mal mit den Füßen die Wassertemperatur. Ich war sehr glücklich, dass ich den Beiden gefolgt und mit nach Finsterra gefahren bin. Es kam richtige Urlaubsstimmung auf. Später kletterten wir die Felsen wieder hinauf und folgten dem Trampelpfad weiter. Er führte auf eine Straße und diese weiter hinunter an den Strand. Naja - Strand war übertrieben. Felsen, Sand und Steine. Aber gut, um ein paar Muscheln zu suchen. Was Antje auch tat.
Es war jetzt ungefähr halb vier und die Beiden wollten gern ins Hotel und einchecken. Bei ihrer Ankunft war die Rezeption nicht besetzt und sie ließen nur ihre Rucksäcke im Hotel. Das kam mir gelegen, denn ich wollte auch mal duschen und meinen Laptop wegbringen. Da wir gemeinsam den Sonnenuntergang am Leuchtturm anschauen wollten, befragten wir Google nach dem heutigen Sonnenuntergang - 21:55 Uhr. Bis zum Leuchtturm waren es etwa 3km. Wenn wir kurz vor 9 loslaufen würden, wäre also alles safe. So trennten wir uns und verabredeten uns ohne feste Zeit zum gemeinsamen Abendessen am Hafen.
Gegen sechs trafen wir uns dann. Die Bars sahen alle gleich aus und unterschieden sich nur durch die Tische und Stühle. Vermutlich war auch das Angebot austauschbar und so nahmen wir eine Bar mit voraussichtlich dem längsten Sonnenschein. Das Essen war reichhaltig aber nicht besonders gut. Eigentlich war es miserabel - besonders das, was Hühnchenbrust gewesen sein sollte. Keine Ahnung aus welchem Material das Ding gepresst wurde - aber Hühnchen sicher nicht. Glücklicherweise waren wir durch unsere Vorspeisen bereits halbwegs satt. Noch einen Kaffee und dann weiter. Wir hatten noch etwas Zeit. Außerdem war uns kalt geworden und so beschlossen wir, uns irgendwo rein zu setzen. Wir landeten in meiner Bar von Mittag. Dort gab es einen weiteren Kaffee und wir verquatschten uns. Es war schon 21.20 Uhr und wir hatten keine Ahnung, wo wir lang mussten. Die Situation erinnerte mich irgendwie an heute Morgen am Busbahnhof.
Wir zahlten und gingen los. Zügig. Wir folgten wieder gelben Pfeilen und Jakobsmuscheln. Das war angenehm vertraut. Es ging hinaus aus der Stadt und stetig bergauf. Die Kilometersteine zeigten irgendwas mit 2,... Kilometern. Wir wurden schneller - naja, Antje machte dennoch Fotos von dem schönen Ausblick auf die Stadt und die Bucht. Es ging an einer Straße entlang, die offensichtlich direkt zum Leuchtturm und damit ans Ende der Welt führte. Es war ungefähr 10 vor 10 und wir hatten noch etwa einen Kilometer vor uns. In Laufschuhen und auf ebener Strecke hätten wir es vielleicht in fünf Minuten bis zum Leuchtturm geschafft. Wir trugen allerdings FlipFlops und der Weg neben der Straße war nicht der Beste. Dennoch rannten wir streckenweise und lachten dabei. Wir waren mit den FlipFlops nämlich nicht schneller als würden wir gehen. In diesem Moment kam uns ein Fahrzeug entgegen und auf dem Dach erkannte man ein kleines Taxischild. Wir winkten und es hielt tatsächlich an. Wir kletterten über die Leitplanke, stiegen schnell ein und deuteten bergauf. Der Fahrer wendete und fuhr uns hinauf. Wir drückten ihm ein paar Euro in die Hand. Wir waren angekommen. Rechtzeitig. Die Sonne war allerdings von ein paar Wolken verdeckt. Wir suchten uns einen Felsen. Setzten uns, holten den Wein heraus und genossen den Ausblick. Das Sonnenlicht hinter den Wolken wechselte beim Untergehen die Farbvarianten, in denen die Wolken leuchteten. Nachdem wir anfänglich noch etwas redeten verstummten wir irgendwann und jeder genoss den Moment für sich. Ich fühlte mich jetzt tatsächlich angekommen. Es war ganz anders, als am Tag zuvor auf dem Platz der Kathedrale in Santiago. Vielleicht hatte ich es mir vorher zu sehr ausgemalt. Aber das Gefühl auf dem Platz war nicht das, was ich mir vorgestellt hatte. Doch jetzt war es da. Ich war angekommen. Und ich war glücklich, dass ich in dem Moment mit Antje und Jasmin dort war. Sie hatten mir, diesen Moment erst ermöglicht, da sie mich bis Caldas de Reis und anschließend nach Padron bzw. Herbon mitschleppten. Und auch hierher wäre ich ohne sie wahrscheinlich nicht gefahren. Trotz ihre Gesellschaft war ich für den Moment jedoch auch allein. Mir gingen die vielen Erlebnisse und Begegnungen durch den Kopf, die mich letztendlich an diesen Ort geführt hatten. Ich blickte auf meine geschundenen Füße, die mich hierher getragen hatten. All die Schmerzen waren längst vergessen und ich war sehr glücklich und zufrieden.
Als die Sonne schon längst untergegangen und die Mondsichel erkennbar war, durchbrach ein „Dürfen wir jetzt wieder reden“ die Stille. Es war Antje und wir Drei mussten spontan lachen. Wir hatten vermutlich alle das gleiche gedacht und Antje sprach es aus. Außerdem wurde es kalt. Wir packten zusammen und gingen nochmal die paar Meter bis zum Leuchtturm. Dort stand dann auch der berühmte Kilometerstein mit der Zahl 0,000. Auch hier genossen wir noch etwas die Atmosphäre.
Es war dunkel und wir hatten noch etwa drei Kilometer Fußweg vor uns. Jasmin erinnerte sich an ihre Stirnlampe, die sicher im Hotel lag. Sie wäre jetzt sicher nützlich gewesen.

Als wir losgingen stoppte plötzlich ein Auto neben uns und der Fahrer - ein junger Bursche - fragte uns, ob wir mit runter kommen wollen. Es war der Barkeeper der Gaststätte. Er hatte Feierabend und nahm uns freundlicherweise mit. Es hat durchaus Vorteile, mit zwei blonden Frauen unterwegs zu sein.

Nach einer rasanten Fahrt waren wir fix in Finsterra. Hier war nicht mehr viel los. Antje und Jasmin boten mir an, in ihrem Hotel gemeinsam zu frühstücken, da sie einen herrlichen Blick auf die Bucht hatten. Damit ich den Weg zum Hotel schon mal wusste und da wir auch noch nicht richtig müde waren, gingen wir gemeinsam zu ihrem Hotel. Wir saßen dann noch eine ganze Weile auf einer Couch in der Lobby. Wir waren dort allein. Wir quatschten, schauten lustige Youtube-Clips und lachten viel. Die Situation erinnerte uns an etwas, was wir schon lange nicht mehr erlebt hatten. Es hatte etwas vom letzten Abend einer Klassenfahrt. Man hatte keine Lust schlafen zu gehen, um den schönen Moment so lange wie möglich hinauszuzögern. Doch auch der würde unweigerlich enden - auch wenn wir die Nacht durchmachen würden. Also verabschiedeten wir uns irgendwann. Die Beiden gingen in ihr Zimmer und ich in mein Hotel, was nur etwa 10 Minuten entfernt war. Ein weiterer perfekter Tag war zu Ende.


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