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houseless - not homeless!

Gestern war mein Geburtstag. Er war sehr besonders - in vielerlei Hinsicht. Um Mitternacht erhielt ich einen sehr liebevollen Geburtstagsanruf von Daria. Ich war sehr überrascht. Um mich herum schliefen alle schon und man hörte jedes kleine Geräusch im Kloster. Also auch die Vibration meines Handys. Ich konnte nicht viel sagen und bedankte mich ganz leise im Flüsterton. Danach stellte ich sicherheitshalber mein Handy aus.
Morgens um sieben Uhr war das gemeinsame Aufstehen und Frühstücken vorgesehen. Kurz vor sieben - ich lag schon wach in meinem Bett und notierte ein paar Gedanken - stand ein Schatten hinter meinem Vorhang. Ich dachte, es wäre einer der Pilger, der sich bei der Rückkehr von seinem Toilettengang in der „Tür“ geirrt hatte.
Als sich mein Vorhang öffnete, stand da Alex. In der einen Hand ein Tellerchen mit Keksen und in der anderen Hand ein Feuerzeug. Sie sang mir leise ein kleines Geburtstagsständchen. Dann durfte ich mir was wünschen und das Feuerzeug „auspusten“. Es war herzallerliebst.
Besser hätte der Tag nicht beginnen können. Dann hieß es schnell sich fertigmachen. Der Frühstückstisch war schon gedeckt. Wir setzten uns wild durcheinander an den Tisch. Für Bert und Joana - die Herbergshüter der letzten zwei Wochen war es ebenfalls das letzte Frühstück. Das Personal wurde gewechselt. Mir gegenüber saß Salome aus Freiburg. Wir waren beim Abendessen bereits ins Gespräch gekommen und ich hatte ihr erzählt, dass ich Geburtstag habe. Als Alle saßen grinste mich Salome schelmisch an und stimmte ein weiteres Geburtstagsständchen an. Alle sangen mit und gratulierten mir im Anschluss. Was für eine gute Entscheidung, gestern in dieses Kloster zu gehen - dachte ich so bei mir.
Nach dem Frühstück schnappten alle ihr Klamotten und zogen los. Ich brauchte etwas länger - nicht untypisch - und war der Letzte. Ich verließ die Herberge sogar noch nach Bert und Joana.
Als erstes musste ich wieder nach Padron kommen und von da aus auf den Camino. Das ging ziemlich zügig und unten in der Stadt sah man auch bald wieder gelbe Pfeile. Ich war wohl insgesamt spät dran, denn es waren nur ganz vereinzelt Pilger zu sehen. Eine von ihnen war Valeska aus Berlin. Sie war groß, schlank und sportlich gekleidet. Sie hatte nur einen kleinen Beutel dabei. Auf der Suche nach Wegweisern kamen wir ins Gespräch und liefen daraufhin ein paar Kilometer zusammen. Eigentlich lief sie viel schneller als ich. Die ersten Fragen sind meistens ziemlich ähnlich. Woher kommst du? Ist das dein erster Camino? Was hat dich dazu bewegt? Dann werden die Themen individueller. Valeska erzählte mir beispielsweise, dass sie vor dem Camino beim Halbmarathon umgeknickt ist. Es ist wohl nichts kaputtgegangen. Aber richtig verheilt ist die Sache wohl auch nicht. Sie bekam vor ein paar Tagen starke Schmerzen im Sprunggelenk und diese zogen sich bis zum Knie. Deshalb lässt sie seit zwei Tagen ihr Gepäck vorschicken. Sie ist ursprünglich mit Gepäck in Porto gestartet. Dann stellten wir noch fest, dass wir eine gemeinsame Abneigung gegen Klamottenshoppen haben und das Gespräch wurde sehr lustig. Man merkt beim Gehen und Leute-Treffen ziemlich schnell, ob man zusammen passt und ein paar Kilometer zusammen verbringen möchte oder nicht. Es gab auch Typen, die nervten mich schon, wenn sie vor mir oder hinter mir gingen und ich nur die Gespräche mit anhören musste. Das war bei Valeska nicht der Fall. Aber trotzdem verabschiedeten wir uns irgendwann und sie ging mit ihrem eigentlichen Tempo weiter. Ich fragte noch schnell, wie sie hieße - denn das hatten wir irgendwie übersprungen. Dann fragte sie noch nach meinem Namen. Ich sagte Andreas. „Ach du bist Andreas aus Berlin?“ entgegnete sie. „Hab von dir gehört.“ Ich dachte, sie verarscht mich. Dann stellte sich heraus, dass sie mit Antje und Jasmin im gleichen Hostel übernachtet und über Berliner auf der Strecke gesprochen hatten. Von Valeska erfuhr ich dann noch schnell, dass die beiden blonden Sprotten wohl vor mir losgegangen waren.
Dann zog ich allein weiter. Die Kilometersteine zeigten immer kleinere Zahlen an und jetzt bekam ich auch das Gefühl, dass der Camino bei Kilometerstein 0,000 zu Ende sein wird. Und das wird irgendwann heute sein. Ich versuchte, die Meter zu genießen und ging nicht zu schnell, um das Ende irgendwie noch etwas hinauszuzögern. Die Landschaft entsprach der letzten Tage. Kleine Dörfer, Felder, Wälder und Bäche. An einer Brücke über einen Bach saß Valeska. Sie hatte sich ein schönes Fleckchen für eine Pause gegönnt und ich fragte, ob ich ein Foto machen dürfe. Sie willigte ein und dann zog ich weiter.
Unterwegs traf ich immer wieder Leute, die auch im Kloster übernachtet hatten. Antje und Jasmin traf ich allerdings nicht. Dann kam der Kilometerstein mit der Nummer 9,802. Es war der erste Stein, mit weniger als 10 km bis zur Kathedrale in Santiago. Die Entfernung entsprach nun einer Runde bei mir zuhause durch den Treptower Park - meine übliche Joggingrunde. Das erschien mir nach all den Kilometern so unglaublich wenig. Doch ich merkte auch, dass ich heute schon fast 20km gelaufen war. Zweiweise schmerzen meine Füße sehr und dann ging es auch wieder eine Weile ohne besondere Probleme. An den Cafés und Rastplätzen, an denen ich vorüberzog, schaute ich immer, ob ich Antje und Jasmin irgendwo entdeckte. Sie waren aber nirgends zu finden und ich dachte bei mir, wie schnell sie wohl gegangen sein müssen. Ich machte kleinere Stops für den einen oder anderen Kaffee und um meine Wasserflasche aufzufüllen. Man traf jetzt irgendwie immer wieder die gleichen Leute. Mal überholte man sie - dann überholten sie einen wieder. Auch Valeska traf ich nochmal und wir tranken zusammen einen Kaffee.
Ohne es richtig wahrzunehmen - ich hatte auf ein Ortseingangsschild gehofft - war man in den Vororten von Santiago. Es ging vorbei an Schulen, Supermärkten, Cafés und Restaurants und anderen typischen städtischen Einrichtungen. Es spielte sich auch das normale städtische Leben ab, was mir seltsam vorkam, da es doch für mich ein besonderer Moment war. Für die Anderen aber nicht. Sie sehen jetzt den ganzen Sommer bis in den Herbst hinein tägliche hunderte Pilger durch ihre Straßen ziehen.
Doch für mich blieb der Weg besonders. Es ging stetig bergauf - wie man sich eben den Platz einer Kathedrale vorstellt. Dann waren plötzlich keine Kilometersteine mehr zu sehen und auch die Markierungen wurden sehr rar. Man musste wohl einfach nur noch Richtung Kathedrale laufen und da viele Pilgerwege hier zusammenführten, machten Markierungen wohl nur noch wenig Sinn.

Dann wurden die Häuser plötzlich älter und ich befand mich in der Altstadt - ganz nah der Kathedrale. Überall waren Menschen. Touristen und offensichtliche Pilger. Viele saßen draußen vor den Cafés und genossen das Wetter. Ich sah die Spitzen der Kathedrale und stand dann plötzlich vor ihr. Doch da war kein großer Platz, wie ich es gehört hatte. Also lief ich einmal um die Kathedrale und dann fand ich auch diesen großen Platz. Er war voller Pilger und anderer Leute. Viele lagen allein oder in Gruppen auf dem Boden oder saßen auf ihren Rucksäcken. Auch ich stellte meinen Rucksack ab. Ich zog meine Stiefel aus und sagte mir, sie bis Berlin nicht mehr anzuziehen. Dann setzte ich mich auf den Boden und schaute auf die Kathedrale. Ich war hier. Heute war mein Geburtstag und ich saß tatsächlich auf dem Platz. Ich hatte mir diesen Moment am Abend zuvor ausgemalt und war bei dem Gedanken sehr ergriffen. Der jetzige reale Moment kam an die Intensität des Gedankens nicht heran. Vermutlich waren zu viele Menschen hier oder ich fand aus anderen Gründen nicht die Ruhe. Nichtsdestotrotz war es ein schöner Moment. Und ich traf auch Leute aus dem Kloster wieder und wir umarmten und beglückwünschten uns.
Antje und Jasmin schrieben mir, dass sie gerade für ihre Compostela anstanden. Ich traf Claudia und Leila - zwei Kanadierinnen, die ich in der Herberge in Redondela kennengelernt hatte. Sie waren bereits gestern angekommen und zeigten mir den Weg zum Pilgerbüro, wo es die Compostela gab. Dort sah ich auch Antje und Jasmin. Sie standen mit Tom und Leila zusammen in der Reihe. Sie waren fast am Schalter - nach anderthalb Stunden Wartezeit. Diese hatte ich noch vor mir.
Zwei Stunden später hatte ich auch meine Compostela mit Datum vom 16. Mai 2018 in der Hand und ging zu meinem Hotel. Es war direkt neben der Kathedrale - aus dem Fenster konnte ich die Spitzen sehen und das viertelstündliche Läuten hören.
Nach der Dusche verabredete ich mich mit Alex und Johannes. Antje und Jasmin kamen auch dazu. Wir stießen auf meinen Geburtstag und das Ankommen in Santiago an. Antje und Jasmin hatten mir noch eine kleine Überraschung mitgebracht. In einem kleinen Umschlag, der mit lustigen Sprüchen und Zitaten aus unseren Gesprächen verziert war, steckte ein Jakobsmuschelaufnäher für meinen Rucksack und ein Magnet mit guten Wünschen auf Spanisch. Es war sehr lieb.

Alex und Johannes gingen dann bald in ihr Hotel zurück, da sie morgen nach Finsterra gehen wollten. Ein weiterer 2-3 Tagestrip. Antje, Jasmin und ich wollten das mit dem Bus erreichen. Also hatten wir noch etwas Zeit und zogen zu einem Rummel, der in einem Park aufgebaut war. Antje kaufte zwei Tickets für ein Karussell. Ich lehnte dankend ab, da alles was sich dreht, mir unweigerlich den Abend versaut. Achterbahn/Autoscooter - sehr gern. Kettenkarussell - die Hölle. Als Jasmin sah, dass sich das Karussell überwiegend rückwärts drehte, verlor auch sie die Lust. Und allein wollte Antje verständlicherweise auch nicht fahren. Wir überlegten, die Tickets zurückzugeben oder weiter zu verkaufen. Plötzlich ging Antje kurzentschlossen auf eine Gruppe von Leuten mit mehreren Kindern zu und drückte eines die zwei Tickets in die Hand. Die Freude des Jungen war unbeschreiblich. Er lief Antje hinterher, umarmte sie, bedankte sich auf Spanisch und Englisch, so gut es halt ging und lief freudestrahlend zum Karussell. Besser hätte man die zwei Tickets nicht verwerten können.
Danach gingen wir in Richtung unserer Hotels. Wir verabschiedeten uns. Kurz vor meinem Hotel vernahm ich spanische Straßenmusik. Es war mittlerweile kurz nach elf und mein Geburtstag fast vorbei. Doch irgendwie folgte ich der Musik und sah eine Gruppe - nennen wir sie Landstreicher - unter einem Dach in einer Ecke sitzen. Es waren drei Typen und zwei Hunde und sie hatte es sich mit Schlafsäcken und Kartons gemütlich gemacht. Einer spielte Gitarre und sang dazu auf Spanisch. Ich näherte mich den Drei, da die Musik richtig gut klang. Ich grüßte und sie gaben mir zu verstehen, dass ich ruhig näherkommen könnte. Die Hunde checkten mich auch ab und gestatten mir ebenfalls, Platz zu nehmen. Adrian - der Typ mit der Gitarre - spielte weiter seine Songs und wir anderen Drei stellten uns auf Englisch vor. Xabi - der Besitzer der Hunde - ist auch den Camino gelaufen. Allerdings aus einer anderen Richtung kommend. Sie erzählten, dass sie houseless - not homeless (!) seien, denn die Welt sei ihr zuhause und der Himmel ihr Dach. Schon kitschig romantisch aber in dem Moment für mich irgendwie passend.
Geburtstag + Ankunft in Santiago + Bier + Sangria + spanische Straßenmusik = passt!

Dann näherte sich noch ein junges, deutsches Pilgerpärchen. Daniel und Nicole, wie sich schnell herausstellte. Sie wollten etwas kaufen. Es dauerte etwas, „es“ zu besorgen und so setzten sie sich auch zu uns. Und so saßen wir da in der Ecke. Adrian spielte seine Songs, zwischendurch versuchten wir uns auf Englisch zu verständigen und die Hunde bekamen auch noch ihre Streicheleinheiten. Dann war es Mitternacht und mein Geburtstag war vorbei. Ich bedankte mich für die Gastfreundschaft und die schöne Musik und drückte ihnen noch etwas Geld für ihren weiteren Camino in die Hand. Sie waren sehr, sehr dankbar. Wir machten noch ein gemeinsames Foto. Dann zog ich davon und ging um die Ecke in mein Hotel.
Es war ein sehr besonderer und unvergesslicher Geburtstag.


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Kommentare: 2
  • #1

    Paps (Freitag, 18 Mai 2018 21:18)

    Hallo Pilgerbursche, Du hast es geschafft!! Deinen Reiseblogs zufolge hast Du eine wundervolle, schmerzhafte, lustige, gefühlvolle Erlebnistour hinter dir, welche Du bestimmt nicht mehr missen möchtest. Wie ich Dich kenne, wird das nicht Dein letzter Camino gewesen sein. Deshalb hab ich mit Mutti beschlossen Dir zum Geburtstag ein Paar Wanderschuhe zu schenken, welche Du dir selbst aussuchen kannst. Noch ein paar schöne Tage und komm gesund nach Hause. Tschüssi!!

  • #2

    Molecule Man (Samstag, 19 Mai 2018 08:53)

    Hallo ihr Zwei,
    Vielen lieben Dank :)
    Darüber freue ich mich sehr. Ne schön Idee :D
    Bis bald daheim!