Niemand mag Klugscheißer

Es war spät geworden und die Nacht dadurch kurz. Wir waren um 08:30 Uhr im Hotel zum Frühstück verabredet und ich wurde gewarnt, mir nicht den Zorn zweier hungriger Norddeutscher aufzuladen, indem ich zu spät kam. Nach nur Fünfeinhalbstunden Schlaf saß ich dann auch überpünktlich Viertel nach Acht auf der Couch von gestern. Natürlich war ich um diese Zeit allein. Nichtmal Hotelpersonal war zu sehen.
Kurze Zeit später jedoch kamen die ersten Hotelgäste die Treppe herunter und gingen zum Frühstück. Pünktlich um Halb kamen auch die zwei Anwältinnen. Wir setzten uns und die Bedienung brachte Kaffee, Kuchen und Brot für drei Personen. Vermutlich hätte niemand gemerkt, dass ich kein Hotelgast war, aber mir war das irgendwie unangenehm. Also ging ich zur Rezeption und bezahlte das Frühstück. Der Typ war nicht sehr erfreut und sagte „only for clients“. War mir klar und ich entschuldigte mich auch. Da ich aber schon mal da war und auch schon Kaffee hatte, ging es wohl in Ordnung.
Nach dem Frühstück räumten wir unsere Rucksäcke zusammen und trafen uns wieder am Hafen. Wir wollten den Bus um 11:45 Uhr nehmen. Ich wollte zurück nach Santiago und mich dort mit Karen treffen, die heute ankommen sollte. Antje und Jasmin wollten dann weiter zum Bahnhof, da sie um 17:00 Uhr einen Zug nach Madrid nehmen wollten. Sie wollen sich bis Dienstag Madrid anschauen und von dort aus heim fliegen.
Die Busfahrt dauerte unendliche drei Stunden. Sogar ein bisschen länger. Im Gegensatz zur Hintour hielt er in jedem kleinen Kaff. Autobahnen und Schnellstraßen Richtung Santiago wusste der Fahrer geschickt zu meiden.
Eine Zeit lang hielten sich Antje und Jasmin mit witzigen Sprüchen auf ihren Handys bei Laune. Auch für mich verging so die Zeit. Ein sehr guter war beispielsweise:
„Ab jetzt nur noch Obst.“
„Das ist aber Rotwein.“
„Niemand mag Klugscheißer!“
Die längeren fallen mir leider nicht mehr ein. Bin ja nun auch keine vierzig mehr. Nach Ankunft in Santiago mussten wir ungefähr nochmal 30 Minuten bis zum Bahnhof gehen. Ich entschloss mich, die Beiden dahin zu begleiten. Ich hatte eine Pension gebucht. Aber da zog mich nichts hin und sich hier auf der Straße zu verabschieden, war auch irgendwie blöd. Jasmin suchte noch ein Armband mit Jakobsmuschel, da ihres bereits kaputtgegangen war. In irgendeinem Souvenirshop schlug sie dann zu, nachdem wir schon unzählige unverrichteter Dinge verlassen hatten. Ich glaube sie kaufte dann irgendeins, da die Zeit voranschritt und beide noch kein Ticket nach Madrid hatten.
Wir erreichten den Bahnhof. Die Beiden stellten sich an einen Schalter. Als sie nach ein paar Minuten Wartezeit dran waren, gab der Hombre hinter dem Glas zu verstehen, dass es diese Tickets am Schalter nebenan gibt. Alle Schalter sahen gleich aus und wir waren sicher, dass auch er die Tickets mit seinen Maschinen hätte drucken können. Ich kenne Antje noch nicht lange, aber der Blick, den der Typ daraufhin von ihr kassierte, ließ erahnen, dass er sich glücklich schätzen durfte, hinter einer Glasscheibe zu sitzen. Ohne Worte stellte sich Antje ans Ende der Schlange vom Schalter nebenan.
Glücklicherweise ging es recht zügig und dann hatten die beiden ihre Tickets. Es war noch etwas Zeit und wir gingen in ein kleines Bahnhofsbistro. Dort hieß es dann wirklich Abschied nehmen. Ich hatte Beiden noch ein Andenken in Finsterra gekauft, da dieser Ort irgendwie das Ende unserer gemeinsamen Reise war. Das drückte ich ihnen in die Hand. Wir wünschten uns alles Gute, drückte uns und dann ging ich zu meiner Pension.

Auf dem Camino sagte mir einer der vielen Begleiter - ich glaube es war Bogdan - ‚Wenn man den Camino als Paar geht, trennt er oder schweißt für immer zusammen.‘
Vielleicht ist der Geltungsbereich dieses „Gesetzes“ nicht nur auf Paare im engeren Sinn beschränkt, sondern gilt auch für Freundschaften, wie die von Antje und Jasmin. Die Beide hängen nun schon seit ca. 2 Wochen ununterbrochen - mehr oder weniger jede einzelne Minute - aufeinander. Und das unter den besonderen Umständen der körperlichen Belastung von mehr als 250km in den Sauerkraut- und Kartoffelstampfern, den immer gleichen Klamotten und mal besseren (im Doppelzimmer) und schlechteren (in den Gemeinschaftsherbergen) Übernachtungen.
Ich weiß nicht, wie die Beiden sind, wenn sie allein sind oder was sie denken. Aber wirklich immer, wenn ich mit ihnen zusammen unterwegs war, strahlten sie Lebensfreude aus, lachten unglaublich viel und ansteckend und bildeten für mich eine unzertrennliche Einheit. Und es schien mir echt. Ich glaube das war es, was mir an den Beiden gefiel. Ich wünsche den beiden Ostsee-Sprotten, dass dieses „Gesetz“ auf sie zutrifft und alles erdenklich Gute auf ihren weiteren Caminos. Und wenn jemand Gesetze für sich auslegen kann, dann ja wohl die beiden sympathischen Anwältinnen aus dem Norden!

Ich bezog mein Zimmer. Duschen, Fotos sortieren, bissl Blog schreiben - das Übliche. Zu Viertel nach sieben verabredete ich mich mit Karen. Wir trafen uns auf dem Platz vor der Kathedrale. Ich war etwas früher da und erkannte sie sofort in ihrer Krümelmonsterjacke. Es war sehr schön, sie wiederzusehen. Wie mit Alex vor zwei Tagen - als ob man eine langjährige Freundin wiedersieht. Sie begann zu erzählen und es klang alles sehr lustig. Sie ist viel mit einer Gruppe unterwegs gewesen und es klang als hätten sie unterwegs viel Spaß gehabt. Auch gefeiert wurde zwischendurch wohl anständig. Es klang wirklich gut. Leider ist sie ca. 6km vor Santiago gestürzt. Glücklicherweise ist wohl nicht viel passiert - oder sie konnte es gut verbergen.

Schon nach der ersten Ecke trafen wir direkt an der Kathedrale Teile ihrer Gruppe. Mit Chrissi - einem jungen Mädchen aus St. Pauli - und Elmar - aus Südtirol - setzten wir uns für ein Bier an einen Tisch des wohl besten Cafés am Platze. Wir schauten direkt auf die Kathedrale und die untergehende Sonne ließ die Mauern in einem einzigartigen Licht erstrahlen. Als Chrissi mitbekam, was ich von Beruf war, entbrannte eine kleine Diskussion über G-20-Randale und Polizeigewalt. Karen und Elmar waren sichtlich uninteressiert bis genervt und so wechselten wir das Thema. War mir sehr recht.

Wir zogen weiter und wollten unbedingt noch was essen. Wir fanden eine Bar und bestellten verschiedene Tapas und Bier. Karen stieg auf Cider um. Chrissi ist am gleichen Tag gestartet wir Karen, Alex und ich. Und ich erinnerte mich auch, dass ich sie am ersten Tag gesehen hatte. Mir war ihr brauner St. Pauli Pullover aufgefallen. Chrissi erinnerte sich dann auch an uns „Stempeljäger“, wie sie abfällig dachte. Elmar schien sehr in Ordnung. Wir unterhielten uns, was der Camino für jeden bedeutete und warum man ihn gelaufen ist. Obwohl jeder seinen eigenen Camino geht und seine ganz persönlichen Erfahrungen macht, ähneln sich dennoch irgendwie die Gedanken darüber, was mit einem auf dem Weg passiert. Man geht an seine Grenzen, jeder hat irgendwann auch mal Schmerzen, dann ist man allein und hat doch auch Leute um sich herum. Und dann kommen die Momente, wo man tief in sich blickt und Fragen entdeckt. Und man hat die Zeit und die Ruhe, über diese Fragen nachzudenken. Das war bei mir so und so ähnlich schilderte es auch Chrissi. Und wenn ich Elmar mit seinem Südtiroler Dialekt verstanden habe, war es bei ihm auch so. Zumindest hat er bei dem Gespräch mit Chrissi und mir zustimmend genickt. Karen war etwas müde und kämpfte sichtlich damit. Ich war es auch und so verabschiedeten Karen und ich uns von den Anderen. Elmar wollte am nächsten Tag noch weiter nach Finsterra gehen.
Nach ein paar Metern trennten sich auch die Wege von Karen und mir. Es war schön, sie wiedergesehen zu haben. Sie hatte eine tolle Zeit und auch tolle Leute kennengelernt. Wir versprachen uns, uns in Berlin wiederzusehen und dann unsere Caminos nochmal richtig auszuwerten. Zudem versprach mir Karen noch einen nachträglichen Geburtstagskuchen und auf das Einlösen dieses Versprechens werde ich bestehen. Wir sehen uns also auf den Fall! Es war kurz vor halb zwei und ich ging schlafen.


Kommentar schreiben

Kommentare: 0