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Ciao Santiago!

Karen’s Bus fuhr heute schon um 10 Uhr Richtung Porto. Als ich diesen buchen wollte, war er schon ausverkauft. Ich bekam nur noch einen Platz für eine Verbindung um 16:45 Uhr.
Das gab mir die Möglichkeit, Sven zu treffen. Er sollte heute Morgen in Santiago einlaufen. Und so hatte ich zudem die Möglichkeit, nach ein paar Souvenirs zu schauen. Dafür hatte ich vorher irgendwie nie Zeit gefunden. Und ich konnte auch endlich mal wieder ausschlafen.
Ausgeruht verließ ich gegen halb elf die Pension. Ich hatte meinen Rucksack auf dem Rücken und meine FlipFlops an den Füßen. Sven schrieb mir gegen 10, dass er in der Nähe der Kathedrale mit seinen Leuten sitz und frühstückt. Er war schon gegen 8 Uhr in Santiago angekommen. So lief ich Richtung Kathedrale. Als ich direkt neben ihr war, an einer Stelle, die ich die letzten Tage schon sehr oft passiert hatte, dachte ich plötzlich an die Pilgerpredigt im Kloster in Herbon. Und ich dachte an das Gebet. Und plötzlich überkam mich ein so heftiges Gefühl, wie ich es in Santiago noch nicht verspürt hatte. Ich wollte mich mit diesem Gefühl auf den Platz vor die Kathedrale setzen und den Moment genießen. Ich ging ganz an den Rand des Platzes - die Kathedrale direkt gegenüber. Stellte meinen Rucksack auf den Boden. Zog die FlipFlops aus und spürte den von der Sonne erwärmten Boden an den Füßen. Ich setzte mich hin. Jetzt spürte ich das, was ich mir vor Ankunft in Santiago vorgestellt hatte. Mein Camino de Santiago war beendet. Jetzt und hier. Ich weiß nicht, warum es mit einer Verzögerung von zwei Tagen passierte. Ob ich mir am Mittwoch zu viel erwartet hatte? Vielleicht musste auch noch Finsterra geschehen, wo ich ein ähnliches Gefühl des Angekommenseins erlebte. Ich war einfach nur glücklich in diesem Moment. Ich schloss die Augen, dachte an all die Menschen, die mich begleitet hatten. Nicht nur heute, sondern ich versuchte mich an alle wichtigen Personen meines Lebens zu erinnern. Insbesondere natürlich auch an die des letzten halben Jahres, in dem sich so viel in mir verändert hatte. Und ich dankte allen. Ich war ihnen dankbar, dass ich es hierher geschafft hatte und all diese Erfahrungen und Begegnungen machen durfte. Ich ließ diese Gefühle und Gedanken auf mich wirken. Es war Samstag. Nach meiner eigentlichen Planung wäre ich heute in Santiago angekommen. Und obwohl ich bereits Mittwoch schon einmal hier war, war ich auch erst jetzt richtig in Santiago angekommen. Es gehörte alles mit zu meinem Camino - auch die Fahrt nach Finsterra. Jetzt und hier war er beendet - zumindest der nach Santiago de Compostela. In der Herberge in O Porrino gab es eine Tafel, an die Jeder Sprüche schreiben konnte. Ein sehr einprägsamer war „The Real Camino Starts At The End“.
Nach einer Weile packte ich meine Sachen zusammen und wollte Sven suchen. Als ich aufgestanden war, fragte mich ein älteres Pärchen, welches neben mir an der Mauer lehnte, ob ich ein Foto machen könnte. Klar könnte ich. Da zog sich der Mann eine Clownsnase auf und hielt mir seine Mütze bittend entgegen. Das war seine Fotopose. Das Pärchen war aus Köln. Rheinländer - Klar! :) Es sah so lustig aus, dass ich auch ein Foto in der Pose wollte.
Das Café, in dem Sven sein sollte, war direkt die Treppe hinunter. Doch er war nicht mehr da. Ich schrieb ihn an. Als ich die Tische absuchte, um Sven vielleicht doch noch zu entdecken und anschließend, um einen freien Tisch zu finden, um auch etwas zu frühstücken, hörte ich plötzlich ein „Andreas“ hinter mir. Es war Elmar. Er hatte seinen Rucksack auf den Rücken, seinen Stock in der Hand und war gerade dabei, Richtung Finsterra aufzubrechen. Ich freute mich sehr, ihn noch einmal zu sehen. Wir sprachen kurz und wünschten uns gegenseitig alles Gute. Dann brach er auf. Mir schossen zwei Gedanken durch den Kopf.
Erstens: Auf dem Camino triffst du immer genau die Menschen, die du in diesem Moment brauchst. In diesem Fall war er es, da ich leider Elmar’s Namen vergessen hatte und ich ihn gern in meinem Blog erwähnen wollte. An Chrissi’s Namen erinnerte ich mich - Elmar war mir entfallen. Nun hatte ich ihn nochmal fragen können und notierte ihn mir sicherheitshalber gleich.
Und wenn Erstens zuträfe, bedeutete das zugleich aber auch, dass mein Camino noch nicht zu Ende war. Das dieser „Zauber“ weiter wirkte, obwohl mein Weg nach Santiago beendet war. Dann war das jetzt wohl der „Real Camino“ vom Spruch in O Porrino. Ich freute mich.
Ich setzte mich und bestellte mir Eier mit Speck und dazu einen Cafe solo und Orangensaft. Sven schrieb mir, dass sie schon los seien und sich die Messe in der Kathedrale anschauen wollten. Mich zog dort nichts hin. Ich war am Vortag durch die Kathedrale gegangen und hatte absolut nichts gespürt. Ganz anders als in anderen Kirchen unterwegs und auch in Santiago, die ich besucht hatte. Ich schrieb zurück, dass ich gerade in dem Cafe frühstückte und die Messe auslasse.
Ein paar Minuten später stand Sven an dem Café. Es war wieder das Gefühl, dass ich vom Wiedersehen mit Alex und Karen kannte. Ein alter Kumpel, den man lange nicht gesehen hatte. Wir umarmten uns und zollten einander Respekt, dass wir unsere alten Körper mit geschundenen Füßen und Knien durchgebracht hatten :) Alex und Karen waren ja nicht mal dreißig. ;P
Er war nur schnell gekommen, um kurz Hallo zu sagen. Wir verabredeten uns für später und dann zog er wieder los zur Messe. Ich beendete mein Frühstück und ging in die Altstadt. Ich wollte noch ein paar Postkarten kaufen und abschicken. Erneut hörte ich ein „Andreas“ hinter mir. Es war Susanna. Sie war auch im Kloster in Herbon gewesen. Sie umarmte mich herzlich und wir sprachen ein bisschen. Ich erzählte ihr von diesem speziellen Gefühl, welches ich heute an der Kathedrale hatte und wir bekamen dabei beide Gänsehaut. Gruselig. Dank Susanna bekam ich auch noch die Möglichkeit, mich bei Salome für das Geburtstagsständchen in Herbon zu bedanken. Das hatte im Kloster nicht mehr geklappt und Susanna und Salome standen in Kontakt. Bon Camino, Susanna. Bon Camino, Salome. Dann zog ich durch die Gassen auf der Suche nach einer Post. Ich besorgte ein paar Postkarten und Briefmarken. Ich kaufte einfach ein paar, ohne genau zu wissen, wem ich alles schreibe. Dann suchte ich mir ein Cafe mit Blick auf die Kathedrale und schrieb los. Es wurden doch mehr Karten als ich zuerst dachte - und eine schrieb ich mir selbst. Es war ein Pilger abgebildet, der in den Sonnenuntergang geht. Ich schrieb auf die Rückseite „The Real Camino Starts In Santiago“. Ich hatte zwei dieser Karten gekauft. Am Ende hatte ich einige Karten als Andenken und eine Briefmarke übrig.
Auf dem Weg zur Post, wo ich die Karten wieder einstecken wollte, saß ein junger Typ auf dem Boden. Er kramte in seinem Rucksack herum. Neben ihm lag ein kleiner Hund und döste vor sich hin. Vor den Beiden lag eine Jakobsmuschel als Schälchen und dazu ein Zettel. Auf Zettel bat er um etwas Geld, um seinen Camino fortzusetzen. Ich holte etwas Kleingeld heraus und warf es in die Muschel. Er blickte auf, bedankte sich und fragte mich, woher ich komme. Ich sagte aus Deutschland - Berlin. Er lächelte und sagte, dass er für drei Monate in Berlin war. Er fragte, ob ich den Rosenthaler Platz kenne. Klar kenne ich den. Dort hat er in einer Pizzeria gejobbt. Die Pizzeria kannte ich allerdings nicht. Werde beim nächsten Mal nach ihr Ausschau halten. Gewohnt hatte er am Boxhagener Platz in Friedrichshain. Alles bekannte Orte. Er hieß Marco und war aus Italien. Früher hatte er über Jahre einen ganz normalen Job, sagte er. Er fühlte sich dort aber nur als eine Nummer und wollte etwas anderes erleben. Er erzählte, dass er nun durch Europa tingelt und jetzt seinen Camino geht. Wir sprachen über die Leute hier und auf dem Camino. Viele von ihnen waren irgendwie auf der Suche nach etwas. Irgendetwas hatten all diese Menschen gemeinsam. Das hatte Karen schon festgestellt und mir einmal gesagt und es stimmte. Mein Rucksack wurde schwer auf dem Rücken. Ich setzte ihn ab und setzte mich zu Marco. Ich erzählte, was ich in Deutschland mache und das ich das Gefühl der Nummer auch sehr gut kenne. In einer großen, hierarchischen Organisation ist das nun mal so, dachte ich. Man muss halt seinen Weg finden, damit umzugehen, dachte ich. So saßen wir da in der Fußgängerzone und quatschten. Viele Touristen und Pilger zogen an uns vorbei.
Plötzlich spürte ich eine Hand auf der Schulter und ein erneutes „Andreas“ erschallte. Es war Adrian mit seiner Gitarre. Marco und er schienen sich zu kennen. Es war schön, ihn auch nochmal zu treffen und ich erzählte Marco von der „speziellen Geburtstagsparty“. Adrian erinnerte mich daran, ihn auf Facebook zu kontaktieren. Er hatte mir seine Daten auf einen Zettel geschrieben. Ich kam bisher noch nicht dazu es war mir ein bisschen peinlich. Die Beiden wollten was essen gehen und ich musste auch weiter. Wir verabschiedeten uns und wünschten alles Gute. Ich ging zur Post und warf die Karten ein.
Es war jetzt etwa halb drei. Ich schrieb Sven an, ob wir uns auf ein Bierchen treffen. Er antwortete, dass er mit seinen Leuten im Garten seines Hostels sitzt und lud mich ein, dazu zukommen. Klang gemütlich. Das Hostel war nicht weit weg. Ich hatte noch ca. 2 Stunden bis ich am Busbahnhof sein musste.
Der Hostelgarten war sehr schön. Unter ein paar Bäumen saßen Sven und seine Gruppe. An die Namen kann ich mich leider nicht mehr erinnern. Aber es waren Leute aus Deutschland, Holland, Tschechien und Südafrika. Amtssprache war Englisch - Sven durfte ausnahmsweise deutsch reden. Aber er nutzte auch die Amtssprache. Es waren sehr sympathische Leute und ich fühlte mich direkt wohl und aufgenommen. Obwohl wir nicht zusammen gelaufen waren, hatte der Camino ein verbindendes Element.
Gegen Viertel vor Vier verabschiedete ich mich. Es würde etwa 40 Minuten bis zum Busbahnhof dauern und ich hatte keine Lust auf Stress. Der Weg führte mich ein letztes Mal an der Kathedrale vorbei. Es war ein schönes Gefühl des Abschieds. Ich hatte hier irgendwie alles erledigt. Der ganze Tag mit all den Leuten, die ich nochmal getroffen hatte, erschien mir, als wolle sich Santiago von mir verabschieden. Deshalb ging ich sehr zufrieden zum Busbahnhof. Ich hatte hier nichts mehr offen. In einer Gasse blieb ich nochmal für ein Foto stehen. Ich wollte die Bar fotografieren, in der Karen, Chrissi, Elmar und ich die Tapas gegessen hatten. Ich schaute durch die Kamera und spürte erneut eine Hand auf meine Schulter im Vorbeigehen. Dazu ein „Ciao Andreas!“ Es war erneut Adrian, der ohne sich umzudrehen weiter ging. Er hob seine linke Hand zum Gruß und streckte seinen Daumen. Dann drehte er sich nochmal um und lächelte. Ciao Adrian. Ciao Santiago de Compostela.

Die vier Stunden Busfahrt nutzte ich, um die vielen Gedanken der letzten Tage aufzuschreiben. Ich hatte mir einige Notizen gemacht. Aber ich fand keine Zeit, meinen Blog weiter zu schreiben. Jetzt hatte ich genügend Zeit und nutzte sie.

In Porto angekommen ging ich ins Hostel. Ich hatte ein Bett in einem 6-Bett-Zimmer gebucht. Auf Dauer gingen Einzel- und Doppelzimmer doch ziemlich ins Geld und ich wollte etwas sparen. Zudem hatte ich ja in meiner letzten Nacht von Sonntag auf Montag nochmal ein Zimmer in meinem Ankunftshotel in Porto. Ich brauchte also nur ein Bett und eine Möglichkeit, meinen Rucksack zu verstauen. Das Hostel war in Ordnung. Aber vermutlich bin ich nicht der Hosteltyp. Ich brauche meinen eigenen Bereich, um mich wohl zu fühlen. Egal - schnell geduscht und dann wieder los. Ich hatte mich mit Karen dort verabredet, wo wir uns vor ca. zwei Wochen zur Stadtführung getroffen hatten. Sie hatte beim Schlendern durch die Stadt ein paar schöne Bars dort gesehen.
Wir gingen in eine hippe Bar, die irgendwas von IKEA hatte. Alles war in gelb-blau gehalten und die Einrichtung bestand aus Holzpaletten und einfachen Sofas. Es gab selbstgebrautes Bier und verschiedene Sachen zu essen. Dazu lief das DFB-Pokalfinale auf einem großen Bildschirm. Es war also für jeden was dabei.
Wir bestellten vier kleine Portionen aus der Rubrik „taste and share“. Es waren gebackener Käse, gebratene Pilze, Shrimps in Knoblauchsoße und eine Art Rindergeschnetzeltes mit allerlei Gemüse und Gewürzen. Es schmeckte alles sehr gut. Dazu Bier.
Wir redeten über unsere Erfahrungen der letzten Tage. Wir sprachen darüber, was uns dazu bewegt hat, den Camino zu gehen. Wir sprachen über die Menschen, die wir unterwegs getroffen hatten und waren erstaunt, wie persönlich diese Gespräche oft sehr schnell wurden. Auch wir erzählten uns bald sehr persönliche Sachen zu den Hintergründen unserer Caminos. Wir sprachen über unserer Familien. Dann kamen wir zum Thema Essen und typische Familiengerichte. Karen kommt auch von der Küste und sie erzählte, dass es bei ihr oft frischen Dorsch direkt vom Kutter gab. Hierfür musste man sehr früh aufstehen und konnte den Fisch dann direkt von den einfahrenden Kuttern kaufen. Das klang für mich sehr lecker. Daraus wurde dann oft „Kochdorsch“ gemacht. Das kannte ich nicht. Ein weiteres Familiengericht war eine Art süß-saure Eier mit Kartoffelpüree. Sie beschrieb es als sehr speziell und vermutete, dass man wohl damit aufgewachsen sein muss, um es zu mögen. Probieren würde ich es schon mal. Wer weiß, vielleicht trifft man sich ja in Berlin mal mit den Anderen zum gemeinsamen Kochen. Dann würde ich es schon gern mal probieren. Und Lieferdienste für den worst case sind in Berlin auch kein Problem :)

Karen hatte ein paar Postkarten dabei, die sie noch losschicken wollte. Sie hatte allerdings portugiesische Briefmarken darauf und war sich nicht sicher, ob die ankommen, wenn man sie in Spanien einwirft. In Deutschland hätte es wohl mit ausländischen Briefmarken schon funktioniert. Ich erzählte ihr, dass ich auch ein paar Karten geschrieben hatte und auch mir eine geschickt habe. Sie fand die Idee irgendwie witzig. Ich hatte zufällig noch meine überzähligen Karten und die verbliebene Briefmarke in meiner Beintasche. Sie nahm die andere Karte mit dem Pilger und meine letzte Briefmarke. Es ergibt immer alles Sinn - dachte ich. (Nebenbei - "Es macht Sinn" ergibt gar keinen Sinn, wie uns Chrissi mit ihren 21 Jahren zu belehren wusste!). Sie schrieb sich die Karte und ich ergänzte auch noch einen Gruß.
Aus dem Augenwinkel konnte ich ab und zu erkennen, dass Bayern wohl gerade das Pokalfinale verloren hatte. Ich denke, Karen hat das nicht bemerkt. Aber mir wurde es langsam unheimlich, dass alles so gut und in meinem Sinne verlief. Das war langsam zu viel des Guten. :)

Dann hieß es sich ein letztes Mal und endgültig zu verabschieden. Zumindest in Portugal. Zumindest in unserem Urlaub. Wir waren beide nicht sehr gut darin und standen noch eine Weile vor der Bar. Doch irgendwann kriegten wir es hin, umarmten uns und gingen schlafen.


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